Und so schlägt die Evolution voll zu ...
Bereits in den 70er Jahren zeigten Sozialpsychologen eindrucksvoll, dass willkürliche Unterscheidungsmerkmale
innerhalb kürzester Zeit zu Vorurteilen, Stereotypen und weiteren Denkfehlern gegenüber anderen führen können. Eng
verknüpft mit dieser Forschung ist der Begriff des „Bias“ (Voreingenommenheit, Verzerrung der Wahrnehmung).
Ein Bias kann bewusst („conscious“) oder unbewusst („unconscious“) auftreten. Viele Unconscious Biases lassen sich
evolutionstheoretisch erklären: Wir stecken die wahrgenommene Welt in Schubladen, um einfacher und schneller auf neue
Informationen reagieren zu können.
Doch (Un-) Conscious Bias kann auch negative Konsequenzen für Deinen persönlichen Pay Gap haben. Studien aus anderen
OECD-Ländern zeigen, dass die Wirkungsmacht des Unconscious Bias nicht bei den Schubladen „Mann oder Frau“ haltmacht.
Auch Menschen, die – bewusst oder unbewusst – in andere Schubladen gesteckt werden, sind davon betroffen. Leider ist
die Datenlage hierzu für Deutschland noch ausgesprochen dünn.
Nehmen wir zum Beispiel den „Sexual Pay Gap“ – also die Gehaltslücke aufgrund der sexuellen Orientierung oder der
sexuellen Identität:
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlichte 2017 eine erste
Untersuchung des Sexual Pay Gaps in Deutschland. Die Forscher berechneten die Unterschiede bei den Stundenlöhnen heterosexueller Männer gegenüber heterosexuellen
Frauen, homosexuellen Frauen und homosexuellen Männern.
- Heterosexuelle Männer 18,14 € pro Stunde
- Homosexuelle Frauen: 16,44 € pro Stunde
- Homosexuelle Männer: 16,00 € pro Stunde
- Heterosexuelle Frauen: 14,40 € pro Stunde
Im Vergleich zu heterosexuellen Männern verdienen lesbische Frauen also pro Stunde 1,70 € weniger, schwule Männer 2,14
€ und heterosexuelle Frauen 3,74 €!
Wenn dann noch die durchschnittlich höhere Schulbildung homo- und bisexueller Befragter berücksichtigt wird, liegt der
"Gay Pay Gap“ bei den Männern laut DIW sogar bei 15 Prozent. Der bereinigte „Lesbian Pay Gap“ wies dagegen keine
statistisch relevanten Unterschiede mehr auf.
Für Trans*-Menschen ist die Datenlage noch dürftiger. Doch es liegt nahe, dass es auch bei diesen Personen einen
Sexual Pay Gap gibt, sie also aufgrund ihrer sexuellen Identität beim Gehalt benachteiligt werden.
In einer der wenigen Studien zu diesem Thema – erstellt vom
Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung (IDA) – wird deutlich, dass ein weit größerer Anteil der befragten Trans*-Menschen sich in unteren Einkommensklassen
befinden als Cis-Menschen (Personen, deren Geschlechtserleben mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht
übereinstimmt).
Das Schubladen-Fazit
Ist das bereits in den Römischen Verträgen verankerte Entgeltgleichheitsgebot umgesetzt? Bekommen Arbeitnehmer:innen
unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Identität die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt? Wie sieht
es bei der Karriere aus?
Mehrfach ist belegt: Noch immer gibt es bei der Chancengleichheit große Unterschiede und diese sind auch auf –
bewusstes oder unterbewusstes – Schubladendenken zurückzuführen.
Die AllBright Stiftung hat die Wirkung sehr plastisch mit dem „Thomas-Kreislauf“ beschrieben (AllBright Stiftung, April 2019): „Der Aufsichtsratsvorsitzende und der Vorstandsvorsitzende rekrutieren – bewusst oder unbewusst – nach wie vor
jüngere Kopien von sich selbst und schaffen so in Geschlecht, Alter, Herkunft und Ausbildung extrem homogene
Vorstände. Frauen und beispielsweise Ostdeutsche fallen dabei durchs Raster.“
Ähnliches scheint auch für LGBTIQ*-Talente zu gelten. So finden sich unter den
„Top 100 Out Executives“
von 2019 zwar viele Talente aus der Queer-Community, die bei DAX-Konzernen wie SAP, Lufthansa, Thyssen-Krupp, Bayer
oder der Deutsche Bahn arbeiten. Doch bekleiden sie eher Positionen in der zweiten oder dritten Reihe und sind keine
Geschäftsführer:innen oder Mitglieder von Vorständen oder Aufsichtsräten der DAX-Konzerne.
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